Drei Geschwister | Vereinigung der Kapitäne und Schiffsführer des Fischlandes

Seeunfall der Brigg „Drei Geschwister"



  1. Die Strandung der Brigg am 3. October 1882 an der Nordseite der Bank Kalkgrundet ist durch die Unkenntniß des Schiffers Daniel Zeplien von der im August 1879 geschehenen Verlegung des bis dahin südsüdöstlich von der Bank liegenden Feuerschiffes an die Nordwestseite derselben verursacht.


  2. Die Verlegung des Feuerschiffes hätte dem Schiffer Zeplien bekannt sein müssen. Es ist daher der Unfall auf sein Verschulden zurückzuführen.


  3. Die Befugniß zur ferneren Ausübung des Schiffergewerbes wird dem Schiffer Daniel Zeplien nicht abgesprochen.


    Gründe.

  1. Auf Grund der heutigen Beweisaufnahme ist folgender Thatbestand für festgestellt erachtet:


    1. Die in Rostock beheimathete Brigg „Drei Geschwister“, Unterscheidungssignal MCKT —, ein im Jahre 1862 erbautes, zu 662,1 cbm = 233,73 britischen Register-Tons vermessenes, wohlerhaltenes und noch durchaus seetüchtiges Schiff, ging am 16. September 1882 unter Führung des Schiffers Daniel Zeplien von Grangemouth aus mit einer nach Danzig bestimmten Ladung Steinkohlen in See. Die Ausrüstung war, soweit ermittelt, vollständig und gut, und befanden sich insbesondere auch die erforderlichen Seekarten an Bord, unter ihnen eine englische Karte des Oere-Sunds aus dem Jahre 1876. Die Mannschaft bestand mit Einschluß des geprüften Steuermanns Robert Zeplien aus 8 Personen.


    2. Die Reise ging ungünstiger Witterung halber nur langsam von Statten, und erst am 1. October gelangte die Brigg in den Sund, wo sie mit flauen südlichen Winden lavirte und am 2. October Abends in den Drogden vor Anker ging. Am 3. October wehte es Morgens hart aus SSO. Der Schiffer trug daher Bedenken, durch die Drogden zu segeln, weil er bei der Enge des dortigen Fahrwassers hätte kreuzen müssen und beschloß, statt dessen durch die Flintrinne zu gehen, wo das Fahrwasser weiter ist und durch Pricken bezeichnet wird. Nachmittags kam man in einer Entfernung von etwa 2 Kabellängen an dem Malmöer Lootsenkutter vorüber.

      Schiffer Zeplien beabsichtigte in der Befürchtung, daß der Wind sich ändern und so die Durchsegelung der Rinne erschwert werden könne, einen Lootsen zu nehmen, ließ daher, wie er versichert und auch zum Journal eingetragen steht, die Lootsenflagge heißen und machte einen Schlag, ohne indeß beizudrehen. Es kam jedoch kein Lootse, und so entschloß er sich, auch ohne einen solchen weiter zu segeln, zumal ihm das Fahrwasser von früheren Reisen - er war dort zuletzt vor 4 bis 5 Jahren durchgekommen – bekannt war. Er nahm seinen Curs auf das bei den Kalkgründen, Malmö gegenüber, belegene Feuerschiff zu, indem er zwischen diesem und der schwedischen Küste hindurchzugehen gedachte.

      Nach seinem Leuchtfeuerbuche von W. Ludolph für das Jahr 1879, herausgegeben im Jahre 1878, lag das Feuerschiff 2 Kabellängen in SSO von den genannten Gründen. In Wirklichkeit aber war es, wie vom Lootsenvorsteher zu Malmö bescheinigt ist und auch bereits im Leuchtfeuerbuche von Ludolph für das Jahr 1881 verzeichnet steht, seit dem 15. August 1879 an die Nordseite der Gründe verlegt worden, und dies war Schiffer Zeplien, welcher auch weder eine neuere Segelanweisung, noch die „Nachrichten für Seefahrer“ an Bord führte, unbekannt geblieben.

      Das Loth, welches beständig im Gang gehalten ward, ergab gleichmäßig 5 bis 6 Faden, bis plötzlich Nachmittags zwischen 3 und 4 Uhr nur 3 ½ Faden gelothet wurden. Schiffer Zeplien ließ sofort das Ruder Steuerbord legen, aber unmittelbar darauf berührte die Brigg schon den Grund und kam an den nördlichen Ausläufern der Kalkgründe fest, stieß aber, da die See ruhig war, nicht. Es standen damals die vollen Segel, welche nun back geholt wurden, um das Schiff wieder abzubringen, was jedoch nicht gelang. Wasser bei den wiederholt gepeilten Pumpen fand sich, da die See ruhig blieb, nicht.

      Erst am folgenden Tage, nachdem ein Theil der Ladung gelöscht worden, wurde die Brigg glücklich vom Grunde abgebracht und nach Malmö-Rhede geschleppt. Da sich auch dort kein Wasser bei den Pumpen zeigte, so nahm man die Ladung wieder ein und setzte am 6. October die Reise nach Danzig fort, welches dem nächst auch ohne weiteren Unfall erreicht ward. Eine dort vorgenommene Besichtigung des Schiffes ergab, daß dasselbe ganz unbeschädigt geblieben war. Die durch die Strandung verursachten Kosten der Abbringung 2c. haben 2927 Kronen betragen.


  2. Aus vorstehendem Thatbestande ergiebt sich:


    1. zunächst, daß der vorliegende Unfall darauf zurückzuführen ist daß dem Schiffer Zeplien die Verlegung des Feuerschiffes von der Südostseite der Bank nach der Nordwestseite derselben unbekannt geblieben war. Wäre ihm dieselbe bekannt gewesen, so würde er, wie mit Sicherheit anzunehmen ist, den richtigen Curs gesteuert und sein Schiff ungefährdet an den Gründen vorübergeführt haben.


    2. Der Unfall wäre, wie mit größter Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist vermieden worden, sowohl wenn Schiffer Zeplien einen Lootsen erhalten hätte, als auch, wenn derselbe im Besitze eines neueren Feuerbuches oder einer neueren Segelanweisung oder der „Nachrichten für Seefahrer“ gewesen wäre, aus denen er die derzeitige Lage der Feuerschiffe hätte ersehen können. In beiden Fällen würde er über die Verlegung des Kalkgrundet-Feuerschiffes informirt gewesen sein und das Irrige seiner Annahme, als liege dasselbe noch an der Südostseite der Bank, rechtzeitig erkannt haben.


    3. Daß Schiffer Zeplien, als auf seine Lootsensignale und nachdem er einmal über den andern Bug gegangen war, kein Lootse erschien, annahm, es sei ein solcher augenblicklich auf dem Lootsenkutter nicht anwesend, und nun, ohne länger auf einen Lootsen zu warten, die Durchsegelung der Flintrinne ohne solchen unternahm, ist entschuldbar, umsomehr, als derselbe das Fahrwasser von früheren Reisen kannte, der Wind mäßig und die Luft klar war.

      Dagegen ist es nicht entschuldbar, daß er sich nicht vor Antritt der Reise in den Besitz einer neueren Karte oder zuverlässiger Aufzeichnungen über die Position der Leuchtfeuer in den von ihm zu passirenden Gewässern gesetzt hatte. Denn es mußte ihm bekannt sein, daß der Standort der Feuerschiffe häufig verändert wird, und eine neue Karte, ein Feuerbuch oder eine Segelanweisung neueren Datums sowie die neuesten „Nachrichten für Seefahrer“ konnte er sich in jedem Hafen ohne Mühe und erhebliche Kosten verschaffen. That er das nicht, so ließ er es an der ihm durch Artikel 478 des Handelsgesetzbuchs zur Pflicht gemachten Sorgfalt eines ordentlichen Schiffers fehlen, und wenn, wie vorstehend dargelegt worden, die Strandung auf seinen Irrthum bezüglich der damaligen Lage des Feuerschiffes, dieser Jrrthum aber auf einen Mangel an der ihm gesetzlich, obliegenden Sorgfalt zurückzuführen ist, so muß der Unfall seinem pflichtwidrigen Handeln zugerechnet werden. Derselbe ist durch ihn verschuldet.


    4. Vom Reichscommissar ist auf Grund des §. 26 des Seeunfallgesetzes vom 27. Juli 1877 beantragt, dem Schiffer Zeplien die Befugniß zur Ausübung des Schiffergewerbes zu entziehen, weil derselbe den Unfall durch sein pflichtwidriges Verhalten verschuldet habe. Das Seeamt hat diesen Antrag für begründet nicht erachten können. Denn wenn auch die Sorgfalt, an welcher Schiffer Zeplien es hat fehlen lassen, demselben durch das Handelsgesetzbuch zur Pflicht gemacht und durch den Mangel an jener Sorgfalt der vorliegende Seeunfall verursacht ist, so läßt sich doch aus dieser einmaligen Pflichtverletzung noch nicht auf einen Mangel solcher Eigenschaften schließen, welche zur Ausübung des Schiffergewerbes erforderlich sind.

      Das würde nur gerechtfertigt sein, wenn die Schuld, welche dem Schiffer Zeplien zur Last fällt, eine schwer wiegende wäre. Letzteres ist aber keineswegs der Fall. Vielmehr erscheint das Verschulden desselben, wenn man erwägt, daß das von ihm benutzte Feuerbuch aus dem Jahre 1879 datirt, also noch nicht ein sehr veraltetes war, sowie daß er auf früheren Reisen das Feuerschiff stets an der südöstlichen Seite der Bank angetroffen hatte und nichts vorlag, was ihn dessen inzwischen erfolgte Verlegung hätte vermuthen lassen können, in der That nur als ein ganz geringes. Ein solches Verschulden ist allerdings tadelnswerth, auf dasselbe aber die strengen Vorschriften des §. 26 des Seeunfallgesetzes in Anwendung zu bringen, dazu hat sich im vorliegenden Falle das Seeamt umsoweniger entschließen mögen, als sich hier der Antrag auf Patententziehung gegen einen Mann richtet, der in einem Zeitraum von über 20 Jahren seinen Pflichten als Schiffer stets auf das Gewissenhafteste gerecht geworden ist und als einer der zuverlässigsten und tüchtigsten mecklenburgischen Schiffer bekannt ist.


    5. Die Entscheidung des Ober-Seeamts lautet:

      daß der Spruch des Großherzoglich mecklenburg-schwerinschen Seeamts vom 16. Januar 1884 zu bestätigen und die baaren Auslagen des Verfahrens außer Ansatz zu lassen.

      Gründe.

      Durch die Beschwerde ist der Spruch des Seeamts deshalb angefochten worden, weil das letztere die Schuld des Schiffers Zeplien an der Strandung der „Drei Geschwister“ nicht für eine schwer wiegende erachtet und mit Rücksicht hierauf demselben die Befugniß zur Ausübung des Schiffergewerbes belassen hat. Die Beschwerde hält das Verschulden des Schiffers für ein erhebliches. An sich kann es nicht als eine geringfügige Pflichtversäumniß angesehen werden, wenn ein Schiffer vor dem Antritt einer Reise es unterläßt, sich über den gegenwärtigen Zustand der Seezeichen genau zu unterrichten, in deren Nähe er auf der Reise gelangen kann.

      Die Ausführung des Seeamts, daß das Feuerbuch, welches der Schiffer an Bord hatte, noch nicht sehr veraltet war, und daß er feinen Anlaß hatte, eine seit dem Erscheinen dieses Buches eingetretene Verlegung des Kalkgrundet-Feuerschiffes zu vermuthen, enthält kein Moment, welches die Schuld des Schiffers zu verringern geeignet wäre. Denn erfahrungsmäßig erfolgt die Veränderung von Seezeichen so häufig, daß ein sorgsamer Schiffer ihnen unausgesetzt seine Aufmerksamkeit zuwenden muß, wenn er nicht durch Unkenntniß die Sicherheit seiner Fahrten gefährden will.

      Ein Schiffer, welcher an der Ostsee zu Hause ist, hat hierbei insbesondere die Seezeichen im Sund in Betracht zu ziehen, und wenn er, wie Zeplien, sein Gewerbe schon 20 Jahre lang betreibt, so muß von ihm verlangt werden, daß er aus eigener Erfahrung die Wichtigkeit der Seezeichen hinreichend kennen gelernt hat, um die Gefahr ermessen zu können, welche mit einer mangelhaften Kenntniß dieser Zeichen verbunden ist. Begeht ein solcher Mann eine Nachlässigkeit, wie sie hier vorgekommen ist, so trifft ihn mit Recht der Vorwurf einer erheblichen Verschuldung. Wenn gleichwohl nicht anzunehmen ist, daß dieser Vorgang bei dem Schiffer Zeplien auf einen Mangel an den zur Ausübung seines Gewerbes erforderlichen Eigenschaften schließen lasse, so hat dies darin seinen Grund, daß er vor der Einfahrt in die Flintrinne, in welcher die Strandung erfolgt ist, seine frühere Nachlässigkeit wieder gut zu machen und den Beistand eines Lootsen zu erlangen suchte.

      Wäre ihm dies gelungen, so würde die Strandung nicht erfolgt sein; das Mißlingen aber kann dem Schiffer nicht zur Last gelegt werden. Jedenfalls beweist dieser Versuch, daß der Schiffer noch vor dem Unfall seine Pflichtversäumniß eingesehen hat, so daß die letztere nicht auf einen dauernden Charakterfehler zurückzuführen ist. Die baaren Auslagen des Verfahrens bleiben außer Ansatz, weil die Beschwerde vom Reichscommissar eingelegt ist.


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